#DINversusCorona: Homeschooling – Wenn aus Eltern plötzlich Lehrpersonen werden.

Erlebt Homeschooling nach dem Lockdown einen Aufschwung?

Homeschooling und Fernunterricht sind nicht dasselbe.

Am fünften #DINversusCorona Virtual Meetup ging es um Homeschooling und Fernunterricht auf der Primar- und Sekundarschule. Zwei erfahrene Frauen, Anita Stürmer und Thirza Schneider zeigten auf, dass echtes Homeschooling viele Vorteile bietet für die individualisierte Förderung der Kinder. Digitale Inhalte gab es bisher vor allem auf englischsprachigen Webseiten. Dies ändert sich gerade dramatisch – dank der Schulschliessung im Frühling 2020.

Text: Thomas Gees, Institut Digital Enabling, Berner Fachhochschule Wirtschaft

Die Themen des regelmässigen #DINversusCorona Virtual Meetup sind vielfältig. Sie bieten einen Austausch mit vielen Facetten der Digitalisierung des Alltags. Am Beispiel des Fernunterrichtes, der über Nacht in der ganzen Schweiz eingeführt wurde, zeigen sich viele Vorteile der Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT); doch «Wenn aus Eltern plötzlich Lehrpersonen werden» stellen sich Fragen, die weit über Fragen der Digitalisierung hinausgehen. Den Lehrkräften wurde in der Diskussion zwar guter Wille und Engagement attestiert, doch Hoffnungen auf eine dem individuellen Lernbedürfnis angepasste Lernumgebung liegen in der Zukunft. Gerade diese Entwicklung findet im laufenden Fernunterrichtsexperiment der Volksschule nicht statt. Kritik wurde im Meetup am Beschäftigungseifer der Volksschule laut. Statt die Kinder in den Homeoffice-Alltag der Eltern einzubeziehen, werden Arbeitsblätter verteilt, welche aber wenig mit der Lebenswelt zu tun hätten.

Die kleine Homeschool-Szene plötzlich im Interesse der Medien

Plötzlich findet alles in den eigenen vier Wänden statt: Das Büro und die Schule, Home-office und Home-Schooling. Thirza Schneider betreibt den Blog swisshomeschoolfamily.org/ schon lange, weil sie im Raum Bern andere Familien mit Tipps und Hinweisen unterstützen möchte, welche ihre Kinder nicht in eine Volks- oder Privatschule schicken, sondern sie nach den kantonalen Lehrplänen zu Hause selber unterrichten wollen. Schneider erlebte, wie ihre Tochter Stresssymptome in der 1. Klasse entwickelte, die Schule wurde zum Leidensort, bereits in der 1. Klasse war sie mit einer Prüfungsangst und Mathematik-Phobie konfrontiert. Vor 5 Jahren baute sie ihren Blog nach Vorbildern aus den USA, Grossbritannien und Australien auf und teilte ihre Erfahrungen mit anderen interessierten Eltern. Das Phänomen Homeschooling  rückte  hierzulande vor ungefähr 10 Jahren erstmals ins breite Bewusstsein.  Mit den Schulschliessungen im Frühling dieses Jahres erfuhr ihr Blog einen plötzlichen Boom, bis 20’000 Clicks verzeichnete Schneiders Webseite. Die kleine Homeschooling-Szene war plötzlich keine Randbewegung mehr, sondern Vorreiterin einer notwendigen Veränderung.

Allerdings – das zeigte sich in am Meetup sehr schnell, ist Homeschooling eben nicht dasselbe wie Fernunterricht. Denn Homeschooling heisst, dass die Eltern tatsächlich ihre Kinder unterrichten. Der laufende Fernunterricht allerdings ist eine komplexe Angelegenheit. Es ist und bleibt weitgehend unklar, welche Rolle die Eltern in diesem Frühjahr der geschlossenen Schulen eigentlich spielen sollen. Zu den Inhalten und Aufträgen, aber auch zu den digitalen Tools haben sie nichts zu sagen, allerdings wird erwartet, dass sie zu Hause die technische Infrastruktur bereitstellen, dass sie an online-Meetings teilnehmen oder mindestens dafür sorgen, dass die Kinder teilnehmen können. Während gerade mit dem neuen Lehrplan das Reizthema Hausaufgaben in den Hintergrund gerückt ist, schlägt es mit dem Fernunterricht wieder voll zu. Eltern sorgen sich wieder, dass die Kinder rechtzeitig ihre Aufträge hochladen, sie werden in Mails kontaktiert, in Telefongesprächen ermahnt, den Kindern beizustehen. Man spricht also in der Öffentlichkeit häufig von Homeschooling, meint aber Fernunterricht.

Am Meetup waren durchaus zwei Tendenzen zu erkennen. Auf der einen Seite könnte der Lockdown dazu beitragen, dass das Verhältnis zwischen Lehrkraft, Eltern und Lernenden dauerhaft gestärkt wird, da im Moment das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Bedürfnisse erkennbar werden. Eine Beziehung, welche gerade wegen Corona durch gegenseitigen Respekt gestärkt wird. Andrerseits war auch von deiner verpassten Chance die Rede, nämlich wegzukommen von alltagsfernen Beschäftigungsübungen, hin zu mehr praxis- und projektorientiertem Lernen.  Es bleibt den Kindern gar keine Zeit, die Eltern im Haushalt zu entlasten. «Warum können Kinder nicht den Auftrag erhalten, einen Kuchen zu backen?» fragte sich Anita Stürmer, die eigene Kinder teilweise im Homeschooling unterrichtet.

Eltern hätten eine Verantwortung für die Bildung der Kinder. Diese liege darin zu garantieren, dass es den Kindern gut geht. Wenn es Ärger und Druck zu Hause gibt, müssen sich die Eltern wehren. Wichtig ist, dass die Stimmung zu Hause gut ist, sonst wird der Fernunterricht für alle schwierig.

Erkenntnisse für den Schulunterricht nach Corona?

Könnte die Ausnahmesituation im Frühling 2020 eine generelle und nachhaltige Wende der Volkschule bringen? Wird die Schule sich nachhaltig verändern? Aus der Perspektive der Praktiker mit Homeschooling sei es schwierig, den Schulen Ratschläge zu erteilen. Der aktuelle Fernunterricht zeige, dass das System Schule eine Forderung gerade nicht erfülle, nämlich die individuelle Förderung ins Zentrum zu stellen. Thirza Schneider wünscht sich aber gerade dies. Warum muss ein Kind in der 5. Klasse eine bestimmte Kompetenz aufweisen? Es wäre doch wünschenswert, von der Normierung des Entwicklungsprozesses wegzukommen.  Auch die Wahl der Lehrmittel sei den regulären Lehrkräfte der Volksschule nicht frei gestellt. Wenn man doch merke, dass ein Lehrmittel im Französisch-Unterricht zu kompliziert sei, dann sollte man doch auf eine Alternative ausweichen können. An solchen Restriktionen ändere die aktuelle Situation langfristig auch nichts.

Das fünfte #DINversusCorona Virtual Meetup endete dann aber doch mit einer positiven Botschaft. So würde sich zum Beispiel mit Mattermost eine Open-Source-Alternative durchsetzen. Auch würden sich vermutlich Angebote von Plattformen wie outschool.com in den USA auch hierzulande in deutscher Sprache durchsetzen. Die grössten Profiteure der aktuellen Corona-Krise sei  die  Homeschool-Szene selber. Die neuen digitalen Angebote seien eine willkommene Angebotserweiterung, neue Online-Kurse und digitale Medien hätten einen grossen Sprung gemacht. Es brauche aber die notwendige Zeit, diese Angebote auch zu nutzen. Nur: die Schülerinnen und Schüler in der Regelschule hätten ja keine Zeit für diese Angebote, meinten die beiden Frauen am Ende des Meetings.

Weitere Events in der Reihe #DINversusCorona im April und Mai sind unter digitalimpact.ch/events/ zu finden. Reinschauen und Mitdiskutieren erwünscht.

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